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Erfahrungsbericht von Hanif Jeremy Idris, Departement Darstellende Künste und Film, BA Schauspiel

Bevor im August 09 das Projekt Common Stage startete, hatte ich wahrscheinlich eine der schlimmsten Sommerferien meines Lebens hinter mir. Selbstvertrauen bezüglich meines Berufsweges weg. Freundin weg. Stressen und Rumhirnen während Acht Wochen Sommerferien, zur Erholung gerade mal vier Tage in Norddeutschland verbracht, und sonst in der Enge von Basel und Zürich erstickt.

Und nun dieses Projekt mit chinesischen Austauschstudenten. Um ehrlich zu sein, hatte nicht die geringste Vorstellung davon, was mich erwartete. Ich war erst später zum Projekt hinzugezogen worden, hatte die erste Phase in Peking nicht miterlebt. Ein Nachzügler. Um dieses Defizit ein klein wenig wettzumachen, hatte ich mir aus der Bibliothek ein paar Bücher über die Peking Oper geliehen, darunter eine informative Sonderausgabe von „Theater der Zeit“ über chinesische Theaterformen und das Buch „Gebrauchsanweisung für China“, von Kai Strittmatter, das mir auf amazon.de von den bisherigen Kunden und Lesern wärmstens empfohlen wurde.

Meine Erwartungen waren gemischt. Was war das für eine Theaterform, die sich über eine Reihe von klaren Bewegungsabläufen definierte? Die für Emotionen einen Fundus an stilisierten Gesten bereithielt? Ein Blick in mein Notizheft zeigt: Follow the leader. Pau Zisch Boing. Klatschkreis. Schlagen und Streicheln. Meissner. Eine Liste mit verschiedenen Theaterspielen. Improvisationskultur. Wie weit würden sich die chinesischen Studenten darauf einlassen? Und was könnten wir von ihnen lernen, und wie liessen sich diese zwei Welten in einer halben Stunde auf der Bühne miteinander verbinden? Während der Arbeit wurden diese Fragen sehr schnell beantwortet. Wissensdurst und Mitteilungsdrang meiner chinesischen Mitspieler waren überwältigend. Die Offenheit, mit der sie sich in die Impro-Spiele stürzten, überraschten und rührten mich sehr. Ich meinerseits hatte eher Schwierigkeiten, mich ihrer Theaterform anzunähern. Ihr akrobatisches und gesangliches Können lässt sich schwer in vier Wochen durchpauken, innerhalb dieser kurzen Zeit konnte ich nicht den Spagat in der Luft machen und mich wie Bruce Lee mit einem Stock durch die Gegend schlagen. Ich denke, die Kampf Szene zwischen Dao Yang und mir versinnbildlicht diesen Umstand und auch unsere Arbeitsmethoden. Dao Yang mit seinem Schwert gegen mich mit meinen Pappkartons. Seine präzisen Hiebe und mein spontanes Gefuchtel. Diese Szene erarbeiteten wir durch verschiedene Improvisationen, wobei Dao Yangs Einfallsreichtum mich immer wieder überraschten. Dennoch war er auch sehr bestrebt, den Kampf und seinen Ablauf so schnell wie möglich klar fest zu legen. Laura und ich waren diesem raschen Wunsch gegenüber sehr skeptisch, wollten weiter locker drauflos improvisieren, hatten sogar die Vorstellung, bis zur Aufführung hin den Ablauf offen zu lassen. Diese unterschiedlichen Arbeitsauffassungen führten dann zu einer längeren Diskussion, in die auch Charlotte Joss einbezogen wurde. Am Ende entschlossen wir uns, den Ablauf des Kampfes mit den Elementen aus den Impros klar zu choreografieren, damit niemand bei einer vielleicht mal zu wild geratenen Kampf Experiment zu Schaden kommt, und um auszuprobieren, wie viel Freiheit in einer festgelegten Form möglich ist. Ich denke, weder das eine, noch das andere hat der Szene geschadet. Unser Wille zur Improvisation und ihre Erfahrung mit klaren Sequenzen vereinigen sich für mich in dieser Szene zu einem klaren Bild und zeigen den Unterschied zwischen unseren Schulen.

Mit dieser Projekt ist für mich ein Grundstein gelegt für eine weitere, tiefere Zusammenarbeit. Man hat sich einander vorgestellt, ist in Kontakt gekommen mit der künstlerischen Herangehensweise des anderen, kennt ein wenig sein Repertoire. Dies auf beiden Seiten zu intensivieren wäre nun der nächste Schritt. Noch mehr voneinander lernen und annehmen, klarere Übungsanleitungen auf beiden Seiten. Und nun mal all den künstlerischen Lernwillen beiseite geschoben: Mein Notizbuch hält noch weitere Listen bereit. Hähnchen a la Xiao Lei. Chinesiche Grammatik. Walk Slow. Auoo Tschi Mien Tui Wan Tchong Lang. Soviel sei geschrieben: Was für mich als schrecklichster Sommer aller Zeiten begann, verwandelte sich in diesen vier Wochen in einen Summer of Love and Double Happiness. Thank You, China.