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Nathalie Fähndrich, BA Musik und Bewegung ZHdK, Gruppe „Between Fox and Ghost“

Niwäwoai. Wie bitte? Nijotuofä. Was sagst du? Wuäainioutifä. Was meinst du? Ich verstehe nicht. I can’t understand you. Ich chum nöd drus. Und dies während zehn Stunden am Tag! Sechs Tage die Woche. Vier Wochen lang. Ein wirrer Salat kurioser Laute und Silben überflutete meinen Gehörsinn, schlängelte sich durch meinen Gehörgang, drang hinein bis zu meinem Trommelfell und erreichte schliesslich mein Hirn. Doch so stark sich dieses auch anstrengte, hoffnungslos, ich verstand nur Chinesisch. Eben gar nichts. Doch dies sollte sich ändern: Die vier Wochen intensiven Austauschs zwischen 17 chinesischen Studierenden der Kunsthochschule NACTA in Peking mit uns Studierenden der Zürcher Hochschule der Künste haben mich geprägt!

Ein vorsichtiges Antasten an eine fremde Kultur prägte unsere Arbeit während der ersten Woche von Common Stage. Eine intensivere Annäherung erlaubte uns die zweite Woche von Common Stage 2012. Wie tanze ich? Wie tanzt du? Wie singst du, wie singe ich? Wie spielst du deine Flöte, wie ich meine Geige? Wollen wir versuchen, europäisch-chinesisch ineinander verwobene Klänge entstehen zu lassen? Oder suchen wir den Kontrast zwischen Ost und West? Während dieser Phase des Entstehungsprozesses unserer musikalisch-tänzerischen Performance bekam ich einen grossen Einblick in die Musik- und Tanzkunst des Reichs der Mitte. Die chinesische Flötistin und Perkussionistin führte mich ein ins Geheimnis des chinesischen Notensystems, welches von unserem grundverschieden ist. Dann entdeckten wir zusammen die gemeinsame Wurzel ihrer traditionellen Melodien und meiner jazzigen Klänge: Die berühmte Pentatonik-Tonleiter. Während des gemeinsamen Musizierens bemerkten wir mit Freude, dass unser Umgang mit Metrum und Rhythmus sehr ähnlich ist. Für diese Forschungsarbeit mussten wir einen eigenen Weg der Verständigung suchen, denn Rainy (so nennt sich die Flötistin in Englisch - sie liebt Regen) sprach nur kleine Brocken Englisch und ich kein einziges Wort Chinesisch. So entwickelten wir zusammen unsere eigene Sprache. Mit Händen und Füssen, mit Tönen und Klatschen. Niemand anderes konnte diese Sprache verstehen, selbst Ines, unsere geniale Übersetzerin, konnte uns nicht mehr folgen.

Die Chinesin unserer Gruppe, die in Peking traditionelle Oper studiert, tanzte wunderschöne, geschmeidige, erotische Bewegungen in ihrer Rolle als Füchsin und Vertreterin des chinesischen Frauenbildes. Zart, hingebungsvoll, bescheiden. Kontrastierend dazu tanzte ich mit eckigen, roboterhaften Bewegungen einerseits, und kraftvollen, weichen Sprüngen andererseits, in zeitgenössisch westlichem Tanzstil, um damit meiner Rolle als Geist und Vertreterin eines westlichen Frauenbildes Ausdruck zu geben. Eigenwillig, sexy, selbstbestimmt.

Ein mutigere Interaktion mit den, von der anderen Seite der Welt stammenden Menschen, bestimmte die dritte Arbeitswoche des heissen Sommermonats. Ja, sogar ein eigentliches Ertasten im wahrsten Sinne des Wortes! So verriet uns eines Tages während einer langen Mittagspause unsere chinesische Schauspielerin ihren geheimen Wunsch: Sie wollte eine ebenso lange, kunstvoll gebogene Nase wie Rebekka unsere Filmerin und Stage Designerin besitzen. So landeten chinesische, lange, filigrane Finger auf kantigen, zierlichen europäischen Nasenrücken und schweizerische kurze, wurstige Finger auf chinesischen flachen, breiten Stupsnasen. Keine Formen unserer Gesichter blieben unertastet. Die letzten Hemmungen des interkulturellen Austausches sind spätestens hier gefallen.