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Rückblick und Fazit

Die Vorbereitungen zur diesjährigen Ausgabe von Common Stage begannen im Januar und konkretisierten sich anlässlich unseres Besuchs Anfang März in Beijing. Die im letzten Jahr beschlossene Integration des Regiedepartements der NACTA wurde dabei zu unserer Freude deutlich spürbar. Einerseits war mit Prof. Zhang Yu erstmals ein Dozent aus dem Departement Regie vollständig in das Projekt integriert, andererseits gab es eine klare Zunahme der teilnehmenden Studierenden aus den Bereichen Regie und Schauspiel. Neu war auch, dass wir an der Auswahl der chinesischen Studierenden für das Projekt beteiligt wurden. An einem Tag in Beijing befragten wir über 50 Studierende zu ihrer Motivation an Common Stage teilzunehmen. Der Eindruck war jeweils kurz, doch bei einigen war man sich sicher und konnte bei anderen die Meinung mit den chinesischen Dozierenden abgleichen. Da wir bis anhin teilweise Unsicherheiten hatten, wie die Studierenden der NACTA ausgewählt wurden, waren wir froh, frühzeitig ein klares Bild der Teilnehmer und einen Überblick über die Verteilung der Disziplinen zu haben.

Bezüglich der inhaltlichen Ausgangslage für Common Stage 2012 war gesetzt, dass wir einen chinesischen Text bearbeiten würden. Lange Zeit waren „Journey to the West“ und Geistergeschichten aus dem "Liaozhai Zhiyi" im Rennen. Beide Werke sind bedeutende und beliebte Klassiker der chinesischen Literatur. Wir entschieden uns für die Geschichten aus dem "Liaozhai Zhiyi" von Pu Songling, vorwiegend wegen den faszinierenden und inspirierenden Bezügen zur chinesischen Geisterwelt und der überschaubaren Länge der Texte. Glücklicherweise fanden wir mit Prof. Dr. Roland Altenburger von der Universität Zürich einen Spezialisten auf dem Gebiet, der uns bei der Auswahl aus den über 400 Geschichten beraten konnte. Gleichzeitig stellten wir bei der Lektüre der Geschichten fest, dass es für uns nicht ganz einfach war, gewisse Handlungen nachzuvollziehen, sowie Inhalte und Metaphern richtig zu deuten. Wir tauchten literarisch in eine fremde Welt ein, welche uns in ihren Bann zog.

Anfang April folgte dann die Ausschreibung an der ZHdK. Die Anmeldungen trafen etwas sparsamer ein, als wenn wir das Projekt in Beijing durchführen. Neben der allgemeinen Kommunikation über den Verteiler der ZHdK, schrieben wir gezielt Vertiefungsleiter an, welche wir baten, uns geeignete und talentierte Studierende zu empfehlen. Schließlich führten wir mit 29 Interessenten/innen Gespräche, anhand derer wir uns für 16 Teilnehmer entschieden. Darunter waren erstmals auch Studierende der Universität Zürich aus dem Fach Sinologie, welche wir als sprachliche und kulturelle Übersetzer für einzelne Gruppen einplanten. Eine erfolgreiche Zusammenarbeit, die wir in Zukunft gerne fortsetzen und vertiefen möchten.

Das Vorbereitungsmodul unter der Leitung von Nathalie Bao mit der Unterstützung von Yun Long Song präsentierte sich wiederum als ein abwechslungsreiches und interessantes Programm und legte eine wichtige und wertvolle Basis für den interkulturellen Austausch. Profilierte Gäste wie Prof. Dr. Roland Altenburger zum Thema Pu Songling und seiner Zeit, Kim Karlsson zu zeitgenössischer bildender Kunst in China, Cao Man zur Peking Oper, Eva Lüdi Kong zu der chinesischen Geisterwelt oder Prof. Giaco Schiesser zum chinesischen Bildungs- und Kunsthochschulsystem, gaben uns vielfältige Einblicke und Anregungen um im Anschluss eigenständige, vertiefende Nachforschungen zu betreiben.

Unsererseits waren umfangreiche und intensive Vorbereitungen für das Projekt zu leisten. So mussten Projekträume reserviert, Zugänge geklärt, private Übernachtungsmöglichkeiten gefunden, Transporte, Führungen, Stadtpläne, Welcome und Abschluss-Party und vieles mehr organisiert werden. Weitere Referenten wurden eingeladen: Juliane Maennel von Rimini Protokoll, Michael Vonplon, Organisator des China Drifting Festivals, zwei chinesische Popmusiker, sowie die Opernregisseurin Johanna Dombois. Mit einem hohen Anspruch verbunden war die Suche nach einer Location für die Aufführung. Nachdem wir mit den Betreibern des Max-Frisch-Bades praktisch handelseinig waren, stießen wir auf das neueröffnete Brockenhaus, in der ehemaligen Citroen-Garage an der Badenerstrasse. Großzügige, rohe Räume, eine einzigartige spiralförmige Auffahrt und die verstaubten und versteckten Nischen reizten uns. Das Brockenhaus schien uns als Spielplatz für kleine Performances und Installationen ideal und strahlte eine eigenwillige Atmosphäre aus. Natürlich war die Zusammenarbeit mit den Betreibern nicht immer einfach. Wir konnten kaum verbindlich planen, da nach Möglichkeit jeder Quadratmeter vermietet wurde. Wir mussten uns damit arrangieren, in einen laufenden Betrieb einzudringen, der kein Kulturbetrieb ist und dessen Betreiber andere Sorgen umtreiben, als sich um unser Projekt zu kümmern. Trotz aller Schwierigkeiten war es ein lohnenswertes und einmaliges Erlebnis. Die Begegnungen mit den indischen, türkischen oder slawischen Standbetreibern erweiterten den interkulturellen Austausch um eine weitere Dimension. Einige davon wurden schlussendlich gar Teil des Projekts, indem sie Interviews zum Thema Geister gaben und über ihr Leben berichteten, welche in einer Videoinstallation gezeigt wurden.

Der 4-wöchige Workshop war anspruchsvoll und intensiv für alle Beteiligten. Die anfängliche Scheu, wich vor allem auch durch die unbekümmerte Art der chinesischen Studierenden einer angeregten Neugier. Die Gruppen bildeten sich ohne größere Komplikationen und fanden mehrheitlich zügig in ein produktives Arbeiten. Bald zeigten sich aber auch deutliche Wiederstände und Befremdlichkeiten: Wieso geben die Schweizer Studierenden den Ton an? Warum äußern sich die chinesischen Studierenden nicht deutlich? Weshalb können wir nicht einfach diese Geschichte spielen? Wie erklärt man Abstraktion? Stundenlanges Bereden und Wälzen von Fragestellungen, deren Antworten man längst zu kennen meinte. Oft wurde „aus einer Mücke ein Elefant“ und die einfachsten Entscheidungen zum unüberwindbaren Hindernis. Die Konfusion endete hin und wieder in Frustration. Jetzt war allen klar, wovon wir im Vorbereitungsworkshop gesprochen hatten. Wieder einmal zeigte sich, dass die Schritte von der Idee zum Konzept und vom Konzept zur Realisation die wahren Differenzen zwischen den Kulturen und Disziplinen zu Tage fördern. In diesen Momenten MUSS man sich finden, einigen, sich für etwas entschließen, also auch einen Schritt aufeinander zugehen, sich von gewissen Überzeugungen lösen und sich auf das Andere einlassen. Denn aus der jeweiligen Perspektive haben oft beide Seiten recht.

Mit der Zeit stellte sich heraus, dass es schwierig war, die Geschichten komplett zu abstrahieren und deren Inhalte in die heutige Zeit zu transformieren. Zu stark waren die chinesischen Studierenden mit den Geschichten vertraut und etwas fremd wirkten sie auf uns. Durch die stärkere Beteiligung von Regie und Schauspiel seitens der NACTA wurde zudem die theatrale Seite des Projekts betont, was wir formal teilweise lieber noch etwas offener gestaltet hätten. Gleichzeitig war aber sehr schön zu beobachten, wie unterschiedlich sich die Darstellungsweisen der fünf Gruppen entwickelten und wie die verschiedenen Disziplinen und Kunstformen zusammenfanden. Dreisprachige Performances über mehrere Stationen unter Einsatz verschiedenster Medien und Darstellungsmittel, chinesische Instrumente kombiniert mit elektronischen Klangexperimenten oder deutschen Popsongs, eine Kombination aus traditionellem Schattenspiel und zeitgenössischen Videoprojektionen, unterschiedliche Körpersprachen und Ausdrucksweisen. Die Resultate mussten teilweise hart erkämpft werden, aber schlussendlich staunten wir wiederum, was in 4 Wochen unter diesen erschwerten Bedingungen möglich ist. Dazu gratulieren wir allen Teilnehmern herzlich! Ganz besonders bedanken wir uns in diesem Zusammenhang auch bei der Theaterwerkstatt der ZHdK (Alex Stierli, Johannes Knoth und Beno Stauffer) für die technische Beratung und Ausrüstung der Projekte. Sie haben einen großartigen Einsatz geleistet und viel Geduld aufgebracht.

Die Aufführung ging schließlich erfolgreich über die Bühne. Trotz Kälteeinbruch und Regen war der Zuschauerandrang so groß, dass wir gut noch weitere Durchgänge hätten spielen können. Die Reaktionen des Publikums waren sehr eindrücklich und das positive Feedback freute alle Beteiligten.

Schließlich zählt aber nicht nur das sichtbare Resultat der Aufführung. Der interkulturelle und zwischenmenschliche Austausch hinterlässt bestimmt nachhaltige Spuren auf beiden Seiten. Das Aufeinanderprallen westlicher und östlicher Denk- und Handlungsweisen, Wertehaltungen oder Geschlechterrollen stellt grundsätzliche Fragen. Genau diese Auseinandersetzung birgt aber auch das Potential die Menschen der anderen Kultur tiefer kennenzulernen und Respekt zu entwickeln. Die spielerische Art der künstlerischen Auseinandersetzung und das Kommunizieren nicht nur über Sprache, sondern über Körper, Gesten oder Musik bieten dafür einen idealen Rahmen.

Wir freuen uns, dass direkt im Anschluss an das Projekt eine Projektteilnehmerin der ZHdK für ein Austauschjahr an die NACTA wechselte.